Wegen der aus ihrer Sicht unwürdigen Lebensbedingungen in der Interimsunterkunft für Asylbewerber im ehemaligen Lidl-Markt drohten am Montagabend zwei junge Syrer, vom Dach des Gebäudes zu springen. Erst nach knapp 90 bangen Minuten und mehreren Gesprächen ließen sie von ihrem Vorhaben ab. © Ralf Scherer
Walldürn. Zwei junge Asylbewerber aus Syrien sind am Montagabend auf das Dach der Unterkunft im ehemaligen Lidl geklettert und haben gedroht, herunter zu springen.
WALLDÜRN. Was mit einem lockeren Gespräch mit Flüchtlingen in der Interimsunterkunft des Landkreises im ehemaligen Lidl-Markt begonnen hatte, endete am Montagabend in einem Großeinsatz von Polizei, Feuerwehr und Rettungskräften des DRK. Und es endete nach gut 90 Minuten des Hoffens und Bangens für alle Beteiligten glimpflich.
Im Aufenthaltscontainer auf dem Parkplatz hatten Manfred Schärpf, Leiter des Fachbereichs II beim Landratsamt, und das für die Unterkunft zuständige Betreuerteam zu einem Gedankenaustausch über die Situation vor Ort eingeladen, der aus bislang ungeklärten Gründen von einer Minute auf die andere eskalierte. Plötzlich verließen gegen 17 Uhr zwei der an dem Gespräch beteiligten Syrer den Raum und tauchten wenig später auf dem Dach des einstigen Supermarktes wieder auf. Im Bereich der ehemaligen Warenanlieferung waren sie auf den First geklettert und liefen aufgeregt von einer Giebelseite zur anderen. Mit nacktem Oberkörper und lautstark gestikulierend machten sie auf Arabisch auf sich und ihre Situation aufmerksam und drohten vom Dach zu springen.
Die zwischenzeitlich komplett angerückte Abteilung Stadt der Freiwilligen Feuerwehr Walldürn bereitete sich derweil auf den schlimmsten Fall vor und hielt im Eingangsbereich des Gebäudes ein sogenanntes Sprungrettungsgerät - umgangssprachlich als Sprungtuch bekannt - bereit. Zusätzlich improvisierten einige Flüchtlinge mit ausgespannten Bettlaken unterhalb des Hauptfirstes. Auch das DRK war mit zwei Rettungswagen, einem Notarzt und der Schnelleinsatzgruppe aus Walldürn präsent, während die Polizei die Buchener Straße im Bereich der Interimsunterkunft vollständig abgesperrt hatte.
Nachdem lange Zeit nicht klar war, welches Ziel die beiden Männer verfolgen und wie darauf seitens der Landkreisverwaltung und der Einsatzkräfte zu reagieren wäre, kam schließlich doch Bewegung in die bis dahin unübersichtliche Situation. Die beiden Syrer forderten, mit einem Vertreter der Presse sprechen und ihr Anliegen schildern zu dürfen. Daraufhin kam die Polizei auf den inzwischen vor Ort befindlichen Redakteur der Fränkischen Nachrichten zu. Dieser erklärte sich zu dem gewünschten Gespräch bereit - in Absprache mit der Polizei unter der Bedingung, dass zuvor die beiden Syrer vom Dach herunterklettern. Da kein geeigneter Übersetzer anwesend war, gab ein Englisch sprechender Landsmann diese Bedingung an die beiden jungen Männer weiter. Die lehnten jedoch zunächst ab, um kurze Zeit später doch selbst ein Signal des Entgegenkommens zu setzen: Einer erklärte sich bereit, vom Dach zu steigen, während der andere auf dem First ausharrte. Für den Abstieg stellte die Feuerwehr eine Leiter bereit.
Unten angekommen, sprach der junge Syrer gegenüber den FN von aus seiner Sicht unwürdigen Lebensbedingungen in der Interimsunterkunft im ehemaligen Lidl. Nicht mal einem Hund könne man eine solche Unterkunft zumuten, ließ er über den Dolmetscher ausrichten. Konkret nannte er Probleme mit der Sauberkeit in den Toilettencontainern und Ratten, die sich regelmäßig im Gebäude aufhalten würden. Außerdem beklagte er das unfreundliche bis zuweilen beleidigende Verhalten der Walldürner Bevölkerung gegenüber den Asylbewerbern. Auch die Dauer der Asylverfahren sei viel zu lang.
Deshalb werde sein auf dem Dach verbliebener Mitstreiter erst herunterkommen, wenn sich an der geschilderten Situation etwas konkret verbessert habe. Aufseiten des Landratsamtes führte Manfred Schärpf das Gespräch und versuchte beruhigend auf den noch immer aufgebrachten Syrer einzuwirken. Er schilderte die Gesamtsituation mit inzwischen über einer Million Flüchtlingen in Deutschland und die Auswirkungen auf die Verwaltung und den Wohnungsmarkt. Ab Januar müsse der Landkreis Flüchtlinge gar in Zelten unterbringen.
Quelle: Syrer drohten mit Sprung vom Dach - Walldürn - Neckar-Odenwald - Region - FNWeb