dpa/N.Armer
Bis zu einer halben Million Flüchtlinge sollen ohne Registrierung in Deutschland leben. Das berichtete die „Bild“-Zeitung in ihrer Dienstagsausgabe. Viele dieser Flüchtlinge glitten in Schwarzarbeit oder Kriminalität ab, schrieb das Blatt. So funktioniert ihr Leben in der Illegalität.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière kann sich nicht vorstellen, dass derart viele Flüchtlinge in Deutschland untergetaucht sind. Dass 500.000 Flüchtlinge sich nicht registrieren ließen und kein Geld und kein Verfahren haben wollten, „halte ich für absurd“, sagte der CDU-Politiker dem ZDF-Morgenmagazin.
Die Zahl mag hoch gegriffen sein – das Problem aber besteht: Flüchtlinge, die ohne Papiere oder ohne sich bei den Behörden zu melden, in Deutschland leben. „Die Menschen sind in einer sehr prekären Situation“, sagt der Flüchtlingsreferent der Caritas, Raphael Bolay, zu FOCUS Online.
„Sie leben in permanenter Angst vor Entdeckung und Abschiebung und ständiger Unsicherheit: Kann ich einen Arzt aufsuchen? Kann ich meine Kinder zur Schule oder in den Kindergarten schicken? Oder werde ich dann entdeckt? Wie komme ich an meinen Lohn?“ FOCUS Online zeigt, wie Flüchtlinge sich trotz dieser Hindernisse durchschlagen.
Problem 1: Wovon leben?
Die Flüchtlinge brauchen Geld für Unterkunft, Kleidung, Lebensmittel. Aber anders als Asylbewerber haben die Illegalen keinerlei Anspruch auf Hilfe vom Staat: Ihnen ist zum Beispiel das Taschengeld verwehrt, das Asylbewerbern zusteht. Auch schwierig: Sie können in Deutschland kein Konto eröffnen, weil man dafür gültige Papiere braucht. Schnell mit der EC-Karte im Supermarkt zu bezahlen, ist somit nicht möglich – und die Miete oder höhere Rechnungen mit Bargeld zu bezahlen, ist in Deutschland nicht üblich. Das schränkt die Betroffenen deutlich ein.
Aber wovon sollen sie in Deutschland überhaupt leben? Viele würden von Verwandten oder Bekannten finanziell unterstützt, sagt Caritas-Referent Raphael Bolay. Sich einfach in Deutschland einen Job zu suchen, ist den Flüchtlingen dagegen verwehrt: Um legal arbeiten zu können, bräuchten sie einen Aufenthaltstitel und müssten in Deutschland angemeldet sein.
Also bleibt im Grunde nur der Weg in die Schwarzarbeit. Die bringt das nächste Problem, sagt Caritas-Referent Raphael Bolay: „Flüchtlinge, die schwarzarbeiten, laufen Gefahr, Opfer von Arbeitsausbeutung zu werden: Wer Angst vor Entdeckung durch die Behörden hat, fragt nicht nach besseren Arbeitsbedingungen.“
Aber selbst ein illegaler Job mit miesen Bedingungen ist oft nicht leicht zu ergattern, sagt der Migrationsforscher Herbert Brücker vom Institut für Arbeits- und Berufsforschung (IAB): Diese Schwarz-Stellen lägen nicht auf der Straße, sagte Brücker der Nachrichtenagentur dpa. Zudem bräuchten Schwarzarbeiter selbst für einfache Hilfsarbeiten heute Deutsch-Grundkenntnisse. Für Illegale, die wenig Deutsch sprechen, könnte es also schwierig werden, sich mit Schwarzarbeit über Wasser zu halten.
Problem 2: Wo unterkommen?
Irgendwo müssen die Flüchtlinge unterkommen – aber sie können nicht einfach eine Wohnung mieten: Der Vermieter ist seit 2015 nämlich verpflichtet, jedem neuen Mieter eine Bescheinigung über den Einzug auszustellen. Dazu verlangen Vermieter aber in der Regel Nachweise über die Identität. Wer keine Papiere oder einen legalen Aufenthaltstitel nachweisen kann, bekommt schon an dieser Stelle Probleme.
Theoretisch können die „Illegalen“ versuchen, über Strohmänner eine Wohnung anzumieten. Aber auch das ist problematisch: Erstens macht sich der angebliche Mieter damit strafbar, zweitens ist der Flüchtling absolut abhängig von seinem Strohmann: Verrät der einer Behörde wie dem Einwohnermeldeamt oder der Polizei, dass der Flüchtling illegal in Deutschland ist, droht diesem womöglich die Abschiebung.
Die Flüchtlinge sind immer abhängig von Helfern
Auch denkbar: Nachbarn, die verdächtige Beobachtungen machen und dies der Polizei melden. Zum Beispiel, wenn der offizielle Mieter Deutscher ist, der neue Nachbar aber kein Wort Deutsch spricht. Wer über einen Strohmann an eine Wohnung kommt, muss also ständig auf der Hut sein.
Einfacher ist es für die Betroffenen deshalb, bei Bekannten oder der Familie unterzukommen. Aber auch hier gilt: Die Flüchtlinge sind immer auf den guten Willen ihrer Helfer angewiesen – und wahrscheinlich müssen sie ihr Quartier oft wechseln, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Es ist ein Leben in der ständigen Angst, entdeckt zu werden.
Problem 3: Was, wenn die Untergetauchten zum Arzt müssen?
Was ist, wenn man plötzlich starke Schmerzen hat? Oder Beschwerden, die über Wochen nicht verschwinden? Viele Illegale denken, sie dürften überhaupt nicht zum Arzt gehen: Denn erstens haben sie anders als Asylbewerber oder deutsche Bürger keine Krankenversicherung. Zweitens befürchten viele, dass die Ärzte den Behörden verraten, dass sie illegal in Deutschland sind.
Die tatsächliche Situation sieht anders aus: In medizinischen Notsituationen müssen Krankenhäuser auch Patienten aufnehmen, die keine Krankenversicherung haben – also auch Illegale. Außerdem müssen die Betroffenen nicht mehr fürchten, dass Ärzte oder Krankenschwester Informationen über ihren Aufenthaltsstatus an Behörden weitergeben.
Die Ärzte seien aber mittlerweile nicht mehr verpflichtet, dies den Behörden zu melden, erklärt Caritas-Referent Bolay. Es könne aber durchaus vorkommen, dass noch nicht in jedem Krankenhaus bekannt sei, dass Ärzte den Aufenthaltsstatus ihres Patienten für sich behalten dürfen, ohne sich strafbar zu machen.
Wer abgewiesen wird, wartet beim nächsten Mal vielleicht zu lange, bevor er zum Arzt geht
Problematisch wird es, wenn es sich nicht um einen medizinischen Notfall handelt: Dann müssen die Betroffenen ihre Behandlung aus eigener Tasche zahlen. Sind sie dazu nicht in der Lage, darf der Arzt sie abweisen. Das kann schlimme Folgen haben, berichtet die Ärztin Adelheid Franz, die in Berlin im Auftrag der Malteser Illegalen medizinische Hilfe leistet: „Bei manchen ist die Krankheit schon in einem fortgeschrittenen Zustand“, sagt Franz in einem Interview des Malteser-Hilfsdienstes. „Wer nicht weiß, zu welchem Arzt er gehen soll oder schon mal die Erfahrung gemacht hat, dass er abgewiesen oder nur gegen Vorkasse behandelt wurde, wartet lange ab.“
Ärztin Franz arbeitet für den Dienst „Malteser Migranten Medizin“. Er bietet an mehreren Standorten in Deutschland Illegalen größtenteils kostenlose medizinische Behandlung an. Nach dem Aufenthaltsstatus wird in der Regel nicht gefragt.
Aufgeschrieben werden nur Details, die medizinisch notwendig sind – zum Beispiel Geburtsdatum und Art der Beschwerden. Neben solchen Hilfsdiensten haben die Flüchtlinge nur noch die Möglichkeit, auf eigene Faust Ärzte zu suchen, die sie auch ohne Krankenversicherung behandeln, ohne viele Fragen zu stellen.
Quelle: Leben in ständiger Angst: So schlagen sich unregistrierte Flüchtlinge durch