Die Haltestelle Kottbusser Tor in Berlin
(Foto: Regina Schmeken)
Der Berliner Kiez um den Kottbusser Platz war eine Multikulti-Oase. Jetzt zieht er brutale Räuberbanden an.
Kreuzberger Nächte sind lang. Der Schlager aus dem Jahr 1978 ist jedem ein Begriff. Dass Kreuzberg allerdings in den vergangenen Monaten auch gefährlich geworden ist, ist neu. Denn der Berliner Kiez war immer Multikulti-Oase, Rückzugsort für Sozialhilfeempfänger und Lebenskünstler, heimliche Hauptstadt von Generationen von Türken, sperrstundenfreie Partyhochburg. Die wilde Mischung aus Deutschen, Türken, Punks, Homosexuellen, Wagenburglern und Künstlern zieht ungebremst Touristen aus aller Welt an - aber jetzt auch brutale Räuberbanden.
Zentrum der Gewalt ist das Kottbusser Tor in Kreuzbergs Mitte. Der hässliche Verkehrsknotenpunkt ist umgeben von Hunderten Sozialwohnungen, an ihm treffen zwei U-Bahnlinien aufeinander und sechs Straßen gehen von ihm ab. Der Platz ist vor allem auch Berlins härtester Drogenumschlagplatz. Junkies spritzen hier am hellen Tag Heroin, Dealer versorgen das Partyvolk mit Koks und Aufputschpillen.
Kippt der Kotti?
Die Touristen, die Kreuzberg massenhaft bevölkern, haben eine ganz neue Klientel angezogen: Taschendiebe, Räuber, Gewalttäter. Fast jeden Tag und jede Nacht werden Passanten am Kotti, am Görlitzer Bahnhof und am Schlesischen Tor von jungen Männern umringt oder angetanzt und zur Herausgabe von Handys und Geldbeuteln gezwungen. Wer sich wehrt, bekommt Schläge oder Reizgas ins Gesicht gesprüht oder wird mit dem Messer bedroht. Frauen wird an den Busen gefasst, wenn sie ihr iPhone nicht rausrücken, schwule Paare verprügelt und sogar Blinde sind schon überfallen worden. Manche Bar-Besitzer und Hostel-Betreiber haben inzwischen Reizgas unterm Tresen, für alle Fälle. Das Bezirksamt lud jüngst zu einer Diskussion ein zu dem Thema “Kippt der Kotti?”
Die bloßen Zahlen sprechen für ein Ja: Taschendiebstähle sind in Kreuzberg von 2014 auf 2015 um hundert Prozent gestiegen. Auch bei Raub verzeichnen die Beamten eine Zunahme um 50 Prozent. Die Polizei spricht von einer “neuen Form der Gewalt”. Die Täter, junge Männer aus Tunesien, Libyen, Marokko, Ägypten, besitzen italienische, andere französische Aufenthaltstitel, auch in Deutschland registrierte Flüchtlinge sind unter den Räubern. Vor wenigen Tagen ist eine Berlinerin von jungen nordafrikanischen Männern belästigt worden, weil sie weder Drogen kaufen noch Sex haben wollte. Man werde sie “mit dem Messer aufschlitzen” drohte man ihr noch, als sie bereits in einen Imbiss geflüchtet war - der von einem Türken betrieben wird. Und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller? Erklärt lapidar: “Wir sind eine Vier-Millionen-Stadt demnächst, und es gibt bei uns wie in jeder großen Millionenmetropole Kriminalitätsschwerpunkte.”
Bangen ums Biotop
Alle klagen jetzt: Ex-Hausbesetzer und neureiche Hinzugezogene, Geschäftsinhaber, türkische Gemüsehändler, die Betreiber von Schwulenbars, die Künstler. Sie bangen um ihr Biotop. Oder sie ziehen weg, weil sie die Gewalt, den Siff und die Kriminalität nicht mehr aushalten. Sinan Simsek zum Beispiel, der die türkische Regenbogen-Buchhandlung betreibt, hat nach sechs Jahren Kreuzberg mit seiner Familie verlassen. Eine ehemalige Hausbesetzerin hat Angst, in Kreuzbergs Mitte Geld aus dem Automaten zu ziehen - und die grüne Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann findet: “Da hilft jetzt nur noch Polizei.”
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