Nach den Übergriffen in der Silvesternacht in Köln könnten viele Frauen vergeblich auf die Verurteilung ihrer Peiniger hoffen. dpa/M. Böhm
Nach der Kölner Silvesternacht meldeten sich hunderte Frauen in der Polizei, die angaben, von Männern angegrapscht worden zu sein. Viele wurden auch bestohlen. Aber anders als die Diebstähle kann die Grapscherei bisher nur sehr schwer geahndet werden – wegen einer Lücke im deutschen Sexualstrafrecht. Viele der Täter könnten deswegen straffrei ausgehen.
Nach der Kölner Silvesternacht gingen mehr als 1100 Anzeigen bei der Staatsanwaltschaft ein, mehr als 480 davon wegen Sexualstraftaten. Was die meisten Bürger aber nicht wissen: Die Täter, die Frauen bedrängt und begrapscht haben, können nur schwer belangt werden. Der Grund: „Angrapschen“ ist vom deutschen Sexualstrafrecht schlichtweg nicht abgedeckt. Es gibt keinen Straftatbestand „sexuelle Belästigung“. Das heißt für viele der Kölner Opfer: Sie haben wenig Aussicht darauf, eine Verurteilung der Täter wegen Sexualstraftaten zu erleben.
Das Problem: Bis jetzt ist nicht jede unerwünschte Berührung eine Sexualstraftat, für die der Täter verurteilt werden kann – zum Beispiel wegen sexueller Nötigung. Dafür müsse die Tat als „eindeutig sexualbezogene Handlung“ erkennbar sein, so Staatsanwältin Dagmar Freudenberg vom Deutschen Juristinnenbund (DJB) gegenüber FOCUS Online. Der Täter müsste dafür sein Opfer direkt an Brust, Vagina, Penis oder Anus berühren. Im Umkehrschluss heißt das: Wird eine Frau zum Beispiel nur kurz über der Kleidung am Po begrapscht, ist das keine Straftat im Sinne des Sexualstrafrechts.
Opfer müssen sich wehren
Dafür muss laut Staatsanwältin Freudenberg noch eine weitere Bedingung erfüllt sein: Aus dem Kontext müsse „der Sexualbezug der Handlung ersichtlich“ sein. Das heißt in der Praxis: Begrapschen ohne zusätzliches Nötigen ist in der Regel keine Sexualstraftat, wenn die Hand nicht unter die Kleidung wandert.
Aber selbst wenn – wie in manchen Fällen der Kölner Silvesternacht – Frauen unter die Kleidung an die Brust oder die Vagina gegriffen wurde, ist das nicht unbedingt sexuelle Nötigung oder gar Vergewaltigung. Das deutsche Strafrecht verlangt bei Sexualstraftaten nämlich, dass der Täter einen Widerstand beim Opfer überwinden musste: Das Opfer muss sich nach bisheriger Rechtsauffassung körperlich wehren.
Ausnahme: Das Opfer wehrte sich nur deshalb nicht, weil es „Gefahr für Leib und Leben“ fürchten musste. Einfach zu sagen: „Nein, ich will das nicht“, reicht dem Gesetzgeber nicht. Oder aber: Der Täter nutzte die hilflose Lage des Opfers aus. Dafür muss das Opfer dem Täter aber „schutzlos ausgeliefert“ sein. Für die Opfer der Kölner Silvesternacht wird die „Schutzlosigkeit“ schwer nachzuweisen sein: Sie befanden sich an einem öffentlichen Ort, in einer Menschenmenge, es war Polizei vor Ort.
Maas will Grapsch-Attacken vorerst nicht zur Sexualstraftat machen
Sich körperlich gegen die Angriffe zu wehren, war für die Opfer der Kölner Silvesternacht ebenfalls sehr schwierig: Dafür geschahen viele der Attacken zu überraschend und zu schnell. Ohne den Nachweis dieser Gegenwehr ist es vor deutschen Gerichten aber schwer, eine Verurteilung wegen sexueller Nötigung oder Vergewaltigung zu erreichen.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) plant gerade eine Reform des Sexualstrafrechts, die das ändern soll. Die Reform bezieht sich auf Vergewaltigung: Der Straftatbestand wäre dann auch erfüllt, wenn sich das Opfer subjektiv als schutzlos empfindet – oder wenn die Vergewaltigung als „Überraschungsattacke“ passiert, zum Beispiel im öffentlichen Raum wie in Köln. Ein einfaches „Nein“ soll aber weiter nicht ausreichen, damit der Täter hinterher wegen Vergewaltigung bestraft werden kann.Außerdem sieht Maas‘ Entwurf nicht vor, „Grapschen“ als Sexualstraftat ins Strafgesetzbuch aufzunehmen – das ist aber genau das, was viele der Opfer in Köln erlebt haben. Aus dem Bundesjustizministerium heißt es, dies wäre eine viel umfassendere Reform, der man sich nicht generell verschließen werde. Einzelheiten würden aber noch von der Strafrechtskommission geprüft.
mit Material von dpa
Maas warnt vor Rassismus-Eskalation: „Dürfen nicht warten, bis es ersten Toten gibt“
Quelle: Viele Sex-Täter aus der Silvesternacht haben nichts Strafbares getan
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