Gießen. Eine junge Frau wird in einem Waldstück an der Rödgener Straße vergewaltigt. Nahe der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge. Täter sollen zwei Asylbewerber sein. Ein Szenario mit Sprengkraft. Aber war es tatsächlich so? Oder hatten zwei Männer bezahlten Sex mit einer drogensüchtigen 28-Jährigen? Mit dieser Frage beschäftigt sich seit Dienstag ein Schöffengericht des Gießener Amtsgerichts.
Die Frau, die am Zeugentisch Platz nahm, berichtete ausführlich, wie sie den 26. Mai dieses Jahres erlebt hatte: »Guter Dinge« sei sie an jenem Dienstag gewesen. Denn: Schon am folgenden Freitag habe sie mit dem Drogenentzug in einer Wiesbadener Klinik beginnen wollen. Trotzdem war sie an jenem Frühlingstag noch »voll drauf« gewesen, bekannte die 28-Jährige freimütig. Benzodiazepine und Heroin habe sie genommen. Dazu noch vier Flaschen Bier getrunken.
In der Stadt habe sie für den bevorstehenden Klinikaufenthalt Kosmetik gekauft und wollte mit dem Bus zurück zu ihrem Lebensgefährten nach Rödgen fahren. Dabei stieg die Nordhessin in den falschen Bus und landete am »US-Depot«. »Gut angetüdelt« sei sie auf die beiden Angeklagten getroffen und habe nach einer Zigarette gefragt. Die hätten sich bei ihr untergehakt und seien mit ihr in Richtung der nächsten Bushaltestelle spaziert. Auf dem Weg habe sie mit den 29 und 39 Jahre alten Männern »geschäkert«, räumte die Frau ein. Als beide in gebrochenem Englisch vorschlugen, »zusammen etwas Spaß zu haben«, habe sie das nicht ernst genommen. Mit den Fingern habe sie eine Geste für Geld gemacht und gesagt, dass »die sich mich gar nicht leisten können«. Viel zu spät habe sie bemerkt, »wohin das führt«. Unter Tränen schilderte sie, erst wieder eine Erinnerung daran zu haben, rücklings auf einem Waldweg zu liegen. Der ältere Angeklagte über ihr, der jüngere daneben. Sie habe »wie wild um mich geschlagen«, aber beide hätten sich an ihr vergangen.
Verhandlung in Handschellen
Vehement bestritt die Frau, dass es sich um Sex gegen Geld gehandelt habe. Dies deuteten die Verteidiger der beiden Angeklagten an. Vor Gericht schwiegen die aus Palästina und Syrien stammenden Männer. Bei der Polizei hatte der Jüngere aber behauptet, er habe den Palästinenser mit dem Opfer beim einvernehmlichen Geschlechtsverkehr im Wald beobachtet. Als die Frau ihn bemerkt habe, soll sie ihm ebenfalls Sex angeboten haben. Er habe dies aber abgelehnt.
Die Mutter der 28-Jährigen betonte, dass ihre Tochter trotz der Drogensucht »nicht auf den Strich« gegangen sei. Das habe die junge Frau »immer wieder und wieder versichert«. Das Opfer habe es hingegen als »große Demütigung« empfunden, dass der ältere Angeklagte ihr nach der Tat einen 20-Euro-Schein vor die Füße geworfen habe.
Das Geld habe sie gleich bei der Polizei abgegeben, sagte die 28-Jährige. Sie bezeichnete den Palästinenser als »Haupttäter«. Der habe zuerst versucht, sie zu vergewaltigen und sei sehr aggressiv gewesen. Der jüngere Angeklagte habe immer wieder »gewarnt«, dass sein Freund »viel getrunken habe«. Sie habe »keine Chance gehabt« und deshalb beide Männer oral befriedigt. Danach sei der Ältere weggerannt, der Jüngere aber noch bei ihr geblieben. In seinem Blick habe sie gesehen, »dass er wusste, dass das nicht richtig war«. Sie sei zur Straße gerannt, habe ein Auto angehalten, dessen Insassen den jüngeren Täter festhielten. Nur weil der Syrer am Tatort geblieben sei, sei es möglich gewesen, beide Täter zu fassen, sagte das Opfer. Dafür sei sie dem 29-Jährigen dankbar. Der fühlte sich der Frau jedoch nicht wirklich verbunden, raunte »Bitch« (Schlampe), als er den Gerichtssaal in Handschellen verließ.
Der ältere Angeklagte musste die Handschellen teils auch während der Verhandlung tragen – wegen seines »angespannten« Verhaltens, wie Richter Jürgen Seichter erklärte. Außerdem wurden beide Angeklagte auseinandergesetzt, weil der Ältere immer wieder auf den Jüngeren einredete. Der Prozess wird fortgesetzt.
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